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Problem der Presse mit Prozentwerten

Die Meldung wurde von den Medien willig aufgenommen: „KI erkennt Brustkrebs zuverlässiger als erfahrene Radiologen“. Gleich zwei Schlagworte mit hoher Aufmerksamkeitsgarantie in einer Überschrift, die „Künstliche Intelligenz“ (KI) und „Brustkrebs“, verknüpft mit einem Unfähigkeitsattest für die (im Gegensatz zu Journalisten) in der Bevölkerung hoch angesehene Berufsgruppe der Fachärzte. Bei solch verlockender Gelegenheit verzichtet man auch schon mal auf einen Blick in die Originalquelle. Ohnehin überfordern medizinische Studien mit ihrer komplexen Statistik die Schnellschreiber - da greift man gern zur begleitende Presserklärung oder orientiert sich an den Texten der Kollegen. Durch dieses copy-paste-cut-waste-Verfahren (kopieren-einfügen-kürzen-Müll) werden Falschmeldungen verbreitet.

Gut, wenn Fachleute sich die Mühe machen und bei solchen Sensationsmeldungen noch einmal genau hinsehen. Denn die vollmundigen Überschriften der Zeitschriften BILD („Bild Dir Deine Meinung“) oder Spiegel („Sagen was ist“) entsprechen nicht den vorgestellten Forschungsergebnissen, wahrscheinlich aber den Vorstellungen der Berichterstatter. Es stimmt einfach nicht, wenn man in großen Buchstaben behauptet „Künstliche Intelligenz erkennt Tumore besser als Mediziner“ und es ist auch nicht zu erwarten, dass wir alsbald erleben „Wie künstliche Intelligenz künftig den Job von Ärzten übernimmt“.

Zudem wurde den Lesern eine in diesen Zusammenhang sehr wichtige Erkenntnis vorenthalten (oder nicht recherchiert): Der geringe Nutzen des Mammographie-Screenings. Von 1.000 Frauen, die nicht regelmäßig zur Vorsorgeuntersuchung gehen, sterben 5 innerhalb des Beobachtungszeitraums von 10 Jahren an Brustkrebs; unter den Frauen die am Screening-Programm teilnehmen sind es 4. „Das bedeutet aber nicht, dass Screening Leben rettet, da auch eine Frau mehr an einem anderen Krebs stirbt. Die Gesamtanzahl der Frauen, die an Krebs (einschließlich Brustkrebs) sterben, ändert sich durch Screening nicht.“ ergänzen die Statistiker in der „Unstatistik des Monats Januar 2020“ ihre Analyse der journalistischen Rezeption dieser Forschungsergebnisse.

Mit dem Blog „Unstatistik des Monats“ hinterfragen der Berliner Psychologe Prof. Dr. Gerd Gigerenzer, der Dortmunder Statistiker Prof. Dr. Walter Krämer, die STAT-UP-Gründerin Katharina Schüller und RWI-Vizepräsident Prof. Dr. Thomas K. Bauer jüngst publizierte Zahlen als auch deren Interpretationen.

Für Menschen mit Fibromyalgie illustriert dieses Beispiel allzu vollmundiger Medizin-Nachrichten, dass auch dann Achtsamkeit notwendig ist, wenn zeitgleich sehr viele Medien die selbe Botschaft verkünden. Oft liegt dem eine einzige Pressemitteilung oder eine Meldung einer Presseagentur zugrunde. Sobald der erste Autor die Nachricht ins Blatt oder auf die Webseite hebt, wird das von allen anderen Redaktionen registriert und diese entscheiden dann: ignorieren oder schnell nachmachen. Die Meldungen der Konkurrenz zu kopieren und umzuformulieren zählt zu den weniger prestigeträchtigen Tätigkeiten in der Redaktion. Die Arbeit gilt als Fingerübung zum Üben, gern auch um das Formulieren von „knackigen“ Überschriften zu üben (wenn es dafür nicht Spezialisten in der Redaktion gibt). So ist es üblich, dass Gesundheitsnachrichten von Redakteuren formuliert werden, die mit dem Thema nicht so gut vertraut sind, aber ein geschultes Gespür für Schlagzeilen haben.

Die Relevanz und Qualität einer Nachricht bemisst sich nicht daran wieviel darüber berichten, sondern wer darüber berichtet. So urteilt die medizinische Fachpresse sehr viel differenzierter, beispielsweise die Ärztezeitung: Mit Blick in die Zukunft gebe es „einige vielversprechende Anzeichen dafür, dass das Modell möglicherweise die Genauigkeit und Effizienz von Screening-Programmen erhöhen sowie Wartezeiten und Stress für Patienten verringern könnte“. So sei KI nicht als Ersatz für den Arzt zu sehen, den Studienergebnissen zufolge aber eine vielversprechende Unterstützung bei der Krebsfrüherkennung.

Es lohnt sich, gerade bei überschwänglichen Erfolgsmeldungen besonders kritisch nachzuforschen. Damit kann man Fehlinformation und möglicherweise auch Enttäuschungen vermeiden.