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Vom Nutzen neuer Medikamente

Zentrale Aufgabe des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) ist die Frühe Nutzenbewertung für pharmazeutische Wirkstoffen und Darreichungsformen von Arzneimitteln mit Blick auf die Kosten für die Gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV). Denn „neu“ bedeutet in der Regel auch „teurer“ - doch dann sollte es auch nachweislich „besser“ sein. Genau das ist sehr häufig nicht der Fall.

Soll eine neues Arzneimittel auf den europäischen Markt kommen wird zuerst anhand von medizinisch-wissenschaftlichen Studien durch die Europäische Zulass­ungs­behörde (EMA) deren Wirksamkeit, Sicherheit und Qualität bewertet. Dabei muss der Gesundheitsnutzen im Rahmen der beabsichtigten Therapie (beantragte Zulassung) einen möglichen Schaden durch Nebenwirkungen deutlich übertreffen. Vergleichsgröße ist dabei eine Abgabe von Placebo, also eine wirkstofffreie Scheintherapie.

Erst im zweiten Schritt wird auf den konkreten Nutzen für die Patienten und auf den Zusatznutzen gegenüber der bisherigen Standardtherapie geprüft. Die Bewertung orientiert sich nun nicht mehr an der Placebo-Null-Linie, sondern an dem aktuellen Stand der Medizin. Nur echter Fortschritt mit Verbesserung soll als „Neues“ neben das bewährte „Alte“ treten. Ausgebremst werden dadurch sogenannte Scheininnovationen und me-too-Präparate („me too“ = „ich auch“ für sehr ähnliche, aber wirkungsgleiche Substanzen) , die zwar „neu“ und „teuer“ sind, aber nicht besser.

Zuständig für diese Bewertung ist hierzulande das IQWiG. In den Jahren 2011 bis 2017 fielen dabei 216 neu auf den deutschen Markt gekommene Arz­nei­mittel durch. Das entspricht 58% der Anträge, für die kein patientenrelevanter Zusatznutzen im Vergleich zur Standardtherapie festgestellt werden konnte. Letztendlich ist dies ein Beleg für die Notwendigkeit dieser Prüfung. So wurden den GKV und ihren Versicherten nicht nur unnötige Kosten erspart, sondern mit großer Sicherheit auch weitreichende Gesundheitsprobleme. Denn bei neuen Medikamenten wurde die Verträglichkeit zwar geprüft, in der Regel aber an gesunden Testpersonen. Interaktionen mit zusätzlichen Erkrankungen oder mit anderen Medikamenten treten erst bei der Anwendung im Patientenalltag auf. Bei bewährten Arzneimitteln liegen diese Erfahrungswerte bereits vor und können berücksichtigt werden. Das gilt insbesondere bei Dauertherapien; für neue Arzneimittel können noch gar keine Folgen einer langjährigen Einnahme bekannt sein. Insofern kann „alt“ für den Patienten auch „vertrauenswürdig“ bedeuten. Dem gegen über darf man sich darauf verlassen, dass ein neues Medikament, dessen Kosten von der GKV übernommen werden, auch tatsächlich einen Fortschritt in der Therapie mit sich bringt.

Deshalb wird die Sonderregelung für „traditionelle pflanzliche Arzneimittel“ und „Homöopathika“ so heftig kritisiert. Hier ist kein Nachweis der behaupteten Wirkung durch klinische Studien notwendig. Dennoch erstatten viele gesetzlich Krankenkassen die Therapiekosten. Patienten können in diesem Fall nicht darauf vertrauen, dass Kostenübernahme eine Garantie für Wirksamkeit und Nützlichkeit ist.

Wenn schon mehr als die Hälfte der mit erheblichem finanziellen Aufwand entwickelten und geprüften Arzneimittel das positive Attest durchs IQWiG verwehrt werden muss, wie wahrscheinlich ist es dann, dass ausgerechnet neue „Wundermittel“ oder „geheime Rezepturen“ diesen Ansprüchen genügen? Wer darauf setzt, bezeichnet auch das Ausfüllen eines Lottoscheins als Erwerbsarbeit mit geregeltem Einkommen.

 

 

Quellen:

Wieseler, B. et al. (2019): New drugs: where did we go wrong and what can we do better? Britsh Medical Journal 366: 4340, online veröffentlicht 10.7.2019. DOI: 0.1136/bmj.l4340 (Published 10 July 2019)

 

DFV (2019): Homöopathie-Hersteller droht Kritikern. Firbo Aktuell, online veröffentlicht 17.6. 2019.