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Schon wieder eine Cannabis-Erfolgsmeldung

Diesmal ist es etwas aufwändiger, die problematischen Punkte des professionellen Jubelartikels über Erfolge der Cannabistherapie bei Fibromyalgie zu erkennen. Auch die Autoren der wissenschaftlichen Veröffentlichung formulieren in ihrem Fazit: „Medizinisches Cannabis scheint eine sichere und wirksame Alternative zur Behandlung von Symptomen der Fibromyalgie zu sein. Eine neue Standardisierung der Therapiepläne und Leitlinien ist erforderlich.“

Ein solches Statement wird von der Cannabis-PR-Webseite Leafly begeistert verbreitet. Erstaunlich nur, dass dieser Werbeartikel im wissenschaftlichen Gewand lediglich auf die pubmed-Webseite mit der kurzen Übersicht (Abstract) verlinkt, nicht aber auf den Volltext der wissenschaftlichen Veröffentlichung. Diese Originalquelle ist ebenfalls kostenlos im Internet einsehbar.

Hier kann man auch einen Blick auf die Datengrundlage werfen. Es wurden nicht einfach Protokolle von „211 Patienten mit Fibromyalgie ausgewertet“, die Basis für die Auswertung ist weit weniger einheitlich. Ursprünglich nahmen 367 Patienten an der Studie teil, davon 301 Frauen (82%). Die Altersstruktur weist 75 Probanden (20,4%) der Kohorte 40 Jahre und jünger zu; 181 Probanden (49,3%) bis 60 Jahre und 111 (30,2%) älter als 60 Jahre. Es gibt auch Daten zum durchschnittlichen BMI (body mass index) sowie zum Status der Erwerbsarbeit.

Lediglich 283 Patienten (77,1%) litten ausschließlich an Fibromyalgie (Treatment indication: primary fibromyalgia), andere Patienten litten zudem an Krebs 35 (9,5%) oder Krebs galt als Auslöser der Fibromyalgie, 22 (6,0%) an Posttraumatischer Belastungsstörung, 27 (7,4%) an „anderen“ Erkrankungen.

Besonders interessant ist zudem, dass 166 (45,2%) der Versuchsteilnehmer bereits vor der medizinischen Anwendung Erfahrung mit Cannabis gemacht hatten (previous experience with cannabis). Fast die Hälfte der Personen, die an dieser Cannabisstudie teilnahmen, hatten die Droge bereits konsumiert. Wie umfangreich diese Erfahrung war und wie nah der letzte regelmäßige Konsum am Beginn der Studie lag, ist aus den gelisteten Daten nicht zu erkennen.

Für die Studie wurden die Patienten zu Beginn des Studie sowie während des therapeutischen Cannabiskonsums sechs Monate später (follow up) mit einem standardisierten Verfahren zur akuten Schmerzbelastung befragt. In diesem Zeitraum schieden 69 Personen aus, weil sie die Therapie abbrachen oder unterbrachen (63), das Medikament wechselten (4) oder verstarben (2). Von den 298 verbliebenen Versuchsteilnehmern beantworteten nur 211 nach sechs Monaten den Fragebogen vollständig. Letztendlich konnten von 367 Probanden zu Beginn der Studie nur 57,5% in der Endauswertung berücksichtigt werden. Es geht aus der Veröffentlichung nicht hervor, welche Teilgruppe - beispielsweise der Cannabiserfahrenen mit oder ohne „primary fibromyalgia“ - nun stärker repräsentiert ist.

Die Studie wurde vom einem Forscherteam am Klinischen Cannabis Forschungsinstitut (Clinical Cannabis Research Institutes) des Soroka University Medical Center (SUMC, Beersheba, Israel) durchgeführt. Dieses Institut empfiehlt aktuell (2019) auch Cannabisblüten zur Therapie von autistischen Kindern (Durchschnittsalter in der Studie 12,9 Jahre). Es ist Teil des staatlichen Forschungsprogramms zu Cannabis für medizinische Zwecke (Cannabis for Medicinal Purposes and Research, CMPR). Die positive Bewertung der Ergebnisse ist insofern Programm, die enorme Euphorie erscheint mit Blick auf die Charakteristika der Versuchsteilnehmer und die kleinen Patientenzahl überzogen. Therapiepläne und Leitlinien wird man auf dieser Grundlage nicht leichtfertig verändern. Hier sind weitere, seriöse Studien von Forschungseinrichtungen ohne derart engen Kontakt zur Cannabis-Exportwirtschaft notwendig.

Leafly verschweigt diese Probleme der Studie und erschwert durch die Verlinkung aufs Abstract interessierten Lesern die erhellende Lektüre der Originalarbeit. Das holen wir hier gerne nach.

 

 

Quellen:

Sagy, I. et al. (2019): Safety and Efficacy of Medical Cannabis in Fibromyalgia. Journal of Clinical Medicine 8 (6): 807ff. DOI: 10.3390/jcm8060807.

Schleider, L.B.-L. et al. (2019): Real life Experience of Medical Cannabis Treatment in Autism: Analysis of Safety and Efficacy. Scientific Reports 9: 200, online veröffentlicht 17.01. 2019. DOI: s41598-018-37570-y.

Latour, A. (2019): Fibromyalgie und Medizinalcannabis: Neue Studie. Leafly.de, online veröffentlicht 08.07.2019.

Ergänzung 9.7.2020
israelnetz.com (2020): Das Land von Milch, Honig und Cannabis. Israelnetz Magazin 3/2020, online veröffentlicht 6.7.2020.