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Fibromyalgie-Patienten mit spezieller Darmflora

Mediziner sprechen vom Mikrobiom des Darms, wenn sie das Ökosystem aus Bakterien und Pilzen im unteren Verdauungssystem untersuchen. Bei Menschen mit Fibromyalgie finden sie dabei eine sehr spezielle Zusammensetzung, die sich womöglich sogar zur Diagnose nutzen lässt.

„Einige der Regelkreise, die bei psychiatrischen und neurologischen Erkrankungen eine Rolle spielen, sind auch bei chronischen Schmerzen involviert. Das war der Grund, warum wir die Veränderungen des Mikrobioms bei Patienten mit chronischen Schmerzen untersucht haben“, erläutern die Forscher ihren Forschungsansatz.

Den ersten Hinweis auf eine Besonderheit beim Darm-Mikrobiom von Fibromyalgie-Patienten ergab der Vergleich von erkrankten Frauen mit gesunden Kontrollpersonen. Bei 19 Arten von Darmbakterien konnten (statistisch) auffällige Unterschiede festgestellt werden. Zudem hatten die Patientinnen höhere Blutserumspiegel an Butyrat (Salze der Buttersäure, C4H8O2) und niedrigere Spiegel an Propionat (Salze der Propansäure, C3H6O2). Anhand dieses Laborwerts konnte in der Gruppe von 77 Patientinnen (zwischen 30 und 60 Jahre alt, Durchschnittsalter 46 Jahre; im Mittel seit 12 Jahren diagnostiziert) gegenüber der Kontrollgruppe (79 Frauen) Fibromyalgie mit einer Vorhersagegenauigkeit von 87 bis 88% diagnostiziert werden.

Die Forscher betonen die praktische Relevanz dieser Ergebnisse: „Wir wissen, dass Fibromyalgie zu diagnostizieren eine große Herausforderung ist. Daher könnte ein diagnostisches Werkzeug, das auf dem Darm-Mikrobiom basiert, eine sehr nützlich Hilfe für Kliniker sein. Das öffnet die Tür für zukünftige Studien und für die Zukunft der Forschung zu chronischen Schmerzen insgesamt“.

Bislang müsse man von 66 bis 73% an falsch positiven Diagnosen für Fibromyalgie ausgehen. Das bedeutet, dass zweidrittel bis dreiviertel der Menschen, die mit der Diagnose Fibromyalgie leben (und entsprechend behandelt werden) aufgrund anderer Erkrankungen unter den Beschwerden leiden. Eine bessere Diagnose mit größerer Treffgenauigkeit, wäre hilfreich, da viele alternative Erkrankungen besser zu therapieren sind.

So sind die Forschungsergebnisse für Patienten auch psychologisch von Bedeutung, denn immer noch „glauben viele Menschen nicht, dass Fibromyalgie überhaupt existiert. Mitunter bezweifeln deshalb Familienangehörige, Freunde und selbst Ärzte, dass die Patienten tatsächlich krank sind. Daher sind unsere Erkenntnisse wichtig“, erläutern die Wissenschaftler. Nun kann man die Diagnose womöglich auf einen objektiven Laborwert stützen.

Auch andere durch Dauerschmerz belastende Erkrankungen können bereits anhand eines veränderten Darm-Mikrobiom identifiziert werden, darunter entzündliche Arthritis und viszerale Schmerzsyndrome wie das chronische Beckenschmerz-Syndrom. Zudem fand man „einen signifikanten Zusammenhang zwischen der Menge verschiedener Bakterienarten und der Schmerzintensität sowie auch mit Fatigue und kognitiven Dysfunktionen wie sie gewöhnlich bei Fibromyalgie gefunden werden.“

„Diese Ergebnisse könnten teilweise erklären, warum Ernährungskonzepte wie eine vermehrte Aufnahme von Polyphenolen durch Obst und Gemüse die Symptome von Fibromyalgie und die Lebensqualität verbessern können“, erklärt ein unabhängiger Kommentator, der an dieser Studie selbst nicht beteiligt war. Er weist aber auch darauf hin, dass man derzeit noch nicht sehr viel Konkretes weiß, wie man die Kenntnisse über die Veränderung des Darm-Mikrobioms für das Schmerz-Management oder gar eine substanzielle Fibromyalgie-Therapie nutzen könnte.

Was durch solche Korrelationen zwischen Erkrankung und speziellem Mikrobiom nicht erklärt werden kann ist die Ursache-Wirkung-Beziehung; bewirkt die Erkrankung die Veränderung der Darmflora oder provozieren die Bakterien und ihre Stoffwechselprodukte Fibromyalgie? Es ist wahrscheinlich, dass eine Erkrankung wie Fibromyaoigie, mit markanter Beteiligung des vegetativen Nervensystems und somit unmittelbarer Wirkung auf die Verdauung (Symptom Reizdarm) oder eine chronische Störung des Aktivität-Ruhe-Rhythmus (Schlafstörungen) oder die Intensität der regelmäßigen körperlichen Anstrengung (Schmerzen verhindern Sport) verändern das Mikrobiom im Darm. Das zeigt ein Blick auf die andere Seite der körperlichen Leistungsanforderung: Marathonläufer und engagierte Freizeitläufer zeigen ebenfalls eine Veränderung der Darmflora - die dabei privilegierten Bakterien helfen den Sportlern sogar beim effizienten Energiemanagement. Die Veränderung des Mikrobioms ist dabei eine Anpassung an die belastungsbedingten Besonderheiten im Körper von Ausdauersportlern. Genau so könnte es auch bei Menschen mit Fibromyalgie sein.

 

 

Meldung auf Medscape

Brauser, D.; Micka, B. (2019): Fibromyalgie: Studie liefert Hinweise auf Bedeutung des Darm-Mikrobioms – Ernährung als therapeutischer Ansatz? Medscape, online veröffentlicht 15.7. 2019.

 

Hier besprochene Originalarbeit

Minerbi, A. et al. (2019): Altered microbiome composition in individuals with fibromyalgia. PAIN, online veröffentlicht 18.6. 2019. DOI: 10.1097/j.pain.0000000000001640

 

Ernährung und Fibromyalgie

Costa de Miranda, R. et al. (2017): Polyphenol-Rich Foods Alleviate Pain and Ameliorate Quality of Life in Fibromyalgic Women. International Journal for Vitamine and Nutrition Research 87 (1 - 2): 66 - 74. DOI: 10.1024/0300-9831/a000253.

 

Dauerlauf züchtet Darmflora

Scheiman, J. et al (2019): „Meta-omics analysis of elite athletes identifies a performance-enhancing microbe that functions via lactate metabolism“. Nature Medicine 25: 1104 – 1109. DOI: 10.1038/s41591-019-0485-4