Fibromyalgie – Eine Phosphat-Stoffwechselstörung? Heilung mit Guaifenesin? Was ist Guaifenesin?
Guaifenesin ist ein Abkömmling des Naturstoffes Guajacol, einem Pflanzenstoff aus den Guajak-Bäumen, die im tropischen und subtropischen Amerika wachsen. Das ausgekochte Holz des Baumes wurde schon in der Maya-Kultur als Arzneimittel genutzt, um die Geschlechtskrankheit Syphilis zu behandeln. Heute wird das Medikament zur Lösung von Bronchialsekret bei Atemwegsinfekten verwendet. In höherer Dosierung wirkt Guaifenesin muskelerschlaffend. Guaifenesin wurde 1952 von der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde Food and Drug Administration (FDA) als Husten- und Schleimlöser zugelassen. In den deutschsprachigen Ländern gilt seine therapeutische Bedeutung als fraglich, zumal auch expektorierende Arzneistoffe mit einem günstigeren Nutzen-Risiko-Verhältnis verfügbar sind.
Die Therapie nach Dr. St. Amand
Der mittlerweile emeritierte Professor für Stoffwechselerkrankungen (Endokrinologie) der Universität von Kalifornien Paul St. Amand erkrankte in den 1960er Jahren selbst an Fibromyalgie und machte sich auf die Suche nach Ursachen und Lösungen.1992 stellte er seine Hypothese vor: Bei Fibromyalgie könne der Körper – infolge eines Gendefekts – vorhandene Phosphatüberschüsse nicht mehr ausscheiden. Das überschüssige Phosphat werde gemeinsam mit Calcium im Körper eingelagert – in den Gelenken und im Gewebe (Muskeln, Sehnen, Bänder). Genau diese Ablagerungen führten nun, St. Amand zufolge, zu den fibromyalgie-typischen Beschwerden und Schmerzen. Da ein bestimmtes schleimlösendes Husten-Medikament (Guaifenesin) als Nebeneffekt auch den Phosphat-Stoffwechsel wieder regulieren kann, nahm St. Amand im Selbstversuch Guaifenesin – und wurde zu seiner eigenen Überraschung in kurzer Zeit vollständig geheilt. St. Amand stellte daraufhin ein Therapiekonzept zusammen, das auf drei Säulen basiert:
- Kohlenhydratarme Ernährung: Da ein großer Teil der Betroffenen zusätzlich zur Fibromyalgie an Blutzuckerproblemen leide (Blutzuckerwerte unter 50 mg/dl) sollte eine kohlenhydratarme Ernährung praktiziert werden. Gleichzeitig wird geraten, auch die Phosphataufnahme in der Ernährung – insbesondere die phosphatreichen Fertigprodukte und Softdrinks – zu reduzieren.
- Guaifenesin in einer individuellen Dosierung.
- Da so genannte Salicylate die Wirkung des Guaifenesins hemmen (sie blockieren in den Nieren einen Rezeptor, an den das Guaifenesin andocken soll), sollen Salicylate, die in besonders hohen Dosen in Medikamenten (z. B. Aspirin) oder auch manchen Nahrungsergänzungsmitteln enthalten sind, vermieden werden. Salicylate können außerdem in Hautpflegeprodukten enthalten sein und über die Haut in den Körper gelangen.
Verfügbarkeit von Guaifenesin in Deutschland
Guaifenesin ist in Deutschland in einigen apothekenpflichtigen Erkältungsmitteln enthalten. Die Anhänger der Guaifenesin Therapie empfehlen ein Langzeitpräparat, das in einigen deutschen Apotheken rezeptfrei erhältlich ist. Der Name "MC-Guaifenesin" ist kein handelsüblicher Name und das Präparat taucht unter diesem Namen auch in keinen Arzneimittellisten auf. Der Preis für 500 Gelatinekapseln zu 600 mg liegt bei ca. 130 Euro. Bei empfohlenen Tagesdosen von 1200-1800 mg liegen die monatlichen Therapiekosten zwischen 13 und 20 €.
Studienlage
Der „Königsweg“ zur Beurteilung der Wirksamkeit eines Medikamentes ist sein Vergleich zu einem Scheinmedikament, wobei weder Arzt noch Patient wissen, welcher Patient das echte und welcher Patient das Scheinmedikament nimmt (sog. doppelblinde Studie).
40 FMS-Patientinnen wurden für 48 Wochen lang nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Dr. St. Amand war beratend beteiligt. Weder die Patienten noch die Ärzte wussten, welcher Patient mit Guaifenesin (1200 mg/Tag) und welcher mit einem Scheinmedikament behandelt wurde. Beide Gruppen erhielten Informationen, salicathaltige Produkte zu vermeiden. Die mit Guaifenesin behandelten Patienten zeigten leichte Verbesserungen in Lebensqualität, Muskelkraft, Ausdauer und Schmerz, jedoch auch die Patienten in der Gruppe mit dem Scheinmedikament. So verbesserte sich der "Total myalgic score" der Scheinmedikament-Gruppe von 36 auf 29, während der Wert der Guaifenesin-Gruppe von 33 auf 26 sank.
Schwerwiegende Nebenwirkungen von Guaifenesin sind nicht bekannt. Mögliche Nebenwirkungen sind Kopfschmerzen, Benommenheit, Übelkeit, Brechreiz und dünne Stühle.
Haupteinwände der Anhänger einer Guaifenesin-Therapie gegen die Studie sind die einheitliche Dosierung des Medikaments und die zu kurze Studiendauer. Die Anhänger der Therapie behaupten, dass oft eine mehrjährige Therapie notwendig ist, bis die Beschwerden sich bessern bzw. ganz verschwinden und dass das Medikament individuell dosiert werden muss. (Anmerkung: Die meisten Studien mit Medikamenten beim FMS wurden über 4-12 Wochen durchgeführt).
Die Autoren der Studie schließen: „Es besteht kein Zweifel, dass vielen Patienten durch Dr. Amand geholfen wurde und man kann nur spekulieren warum.“ Die Studie liefert einen überzeugenden Beweis, dass die Verbesserung nicht auf einen krankheitsspezifischen Effekt von Guaifenesin auf die Pathophysiologie von der FMS zurückzuführen ist (Übersetzung ins Deutsche durch Verfasser).
In den letzten Jahren hat die Placeboforschung eine zunehmende Bedeutung in der Medizin erhalten. Im Licht ihrer Erkenntnisse sind die positiven Wirkungen von Guaifenesin am ehesten auf die positiven Erwartungen der Patienten und von Dr. Amand an die Wirksamkeit von Guaifenesin und die Zuwendung/Aufmerksamkeit, welche die Patienten durch Dr. Amand erhielten, zurückzuführen.
Fazit
Die Neuauflage der FMS-Leitlinie wird auch zu Guaifenesin Stellung nehmen. Nach den Maßstäben einer beweisbasierten (evidence-based) Medizin kann das Präparat aus Sicht des Autors nicht empfohlen werden.
Wer von den Lesern an die Wirksamkeit von Guaifenesin bei der FMS glaubt und einen gleichgesinnten Arzt findet, der ihn bei der Therapie begleitet, soll durch die FMS-Leitlinie nicht von einem Behandlungsversuch abgehalten werden.
Literatur
Infoportal Guaifinesin Therapie bei Fibromyalgie nach Dr, St. Armand http://www.fibromyalgie-guaifenesin.info/de/guaifenesin/bezugsquellen/
https://de.wikipedia.org/wiki/Guaifenesin
R.M. Bennett, P. De Garmo, S.R. Clark (1996): A Randomized, Prospective, 12 Month Study To Compare The Efficacy Of Guaifenesin Versus Placebo In The Management Of Fibromyalgia. Arthritis and Rheumatism 39 (10): S212
Verfasser
PD Dr. med. Winfried Häuser |