20 Jahre SHG „Marburg und Umgebung“ - es ist kaum zu glauben!!
Jeden Tag mit Schmerzen beginnen und jeden Tag mit Schmerzen beenden, selbst nachts lassen einen die Schmerzen nicht zur Ruhe kommen. Dies ist für uns Fibromyalgie-Betroffene der Alltag!!
Ich weiß gar nicht mehr wie das ist, ganz ohne Schmerzen zu leben. Seit 45 Jahren quälen mich immer wieder Schmerzen im Rücken und in den Armen. Im Laufe der Jahre breiteten sich die Schmerzen über den ganzen Körper aus. 'Mal war es der Kopf, 'mal der Rücken, dann wieder die Schulter, die Arme und so fort. Somit begann das „Ärztehopping“ - kein Arzt konnte sich auch nach vielen verschiedenen Untersuchungen meine Beschwerden erklären.
Durch die Schmerzen und Bewegungseinschränkungen, gestaltete es sich immer schwieriger, meinen Beruf auszuüben. Private Aktivitäten musste ich vollends aufgeben. Trotz einigen Klinikaufenthalten und verschiedenen Therapien verspürte ich keine länger anhaltende Besserung. Die Schmerzempfindungen beliefen sich von brennend, stechend bis pulsierend. Ich wurde als Hypochonder abgestempelt und zweifelte schon an mir selbst!!!
Als dann im November 1997 gar nichts mehr ging, die linke Körperseite war wie gelähmt, wurde ich orthopädisch und neurologisch auf den „Kopf gestellt“. Auch danach ergaben sich keine gravierenden Ergebnisse für meine Symptome. Mein Neurologe veranlasste schließlich die Vorstellung in der Rheumatologie, wo dann die Diagnose „Fibromyalgie“ gestellt wurde. Nun endlich hatten meine jahrelangen Schmerzen einen Namen: Fibromyalgie!
Nun einen Rückblick auf 20 Jahre Selbsthilfegruppe „Marburg und Umgebung“
Wie es der Zufall so wollte, stand einige Tage nach der Diagnose ein großer Bericht über die Selbsthilfegruppe Siegen in unserer Tageszeitung. Ich setzte mich mit der damaligen Gruppensprecherin Erika Scholz in Verbindung. Auf diesem Wege lernte ich Eva Sikora aus Marburg kennen, die auch an Fibromyalgie leidet. Erika Scholz überzeugte uns, hier in Marburg eine Fibromyalgie-Selbsthilfegruppe zu gründen.
Ob es Verzweiflung war, dass uns niemand etwas über diese wenig bekannte bzw. unerforschte Erkrankung sagen konnte, oder ob wir einfach nur etwas für uns und andere in der gleichen Situation tun wollten, weiß ich heute nicht mehr. Jedenfalls stürzten wir uns mit Eifer in die Vorbereitungen. Die hiesige Tageszeitung berichtete über die Erkrankung Fibromyalgie und die Gründungsveranstaltung der Selbsthilfegruppe. Durch diesen Bericht wurde eine Lawine losgetreten, der wir kaum gewachsen waren. Das Interesse der vielen Betroffenen war riesig groß!
Wir wurden mit hunderten von Anrufen konfrontiert, uns glühten tagelang die Ohren. Wir waren die „Fibro-Experten“, obwohl wir nur über unsere eigenen Erfahrungen und das was wir in den Infoblättern der DFV gelesen hatten, berichten konnten. Das war für die damalige Zeit viel Information.
Am 12.06.1999 war es dann soweit. Im Vortragsraum des Altenzentrums St. Jakob, Auf der Weide, in Marburg, fand die Gründungsveranstaltung mit Vortrag über Fibromyalgie statt. Der Andrang der Besucher war groß, die bereitgestellten Stühle reichten bei weitem nicht aus. Uns schlotterten die Knie bei der kurzen Begrüßungsrede. Der damalige erste Vorsitzende und Gründer der DFV – Friedrich Thiemann – hielt einen sehr informativen Vortrag über die Erkrankung und erläuterte die Vorzüge einer Selbsthilfegruppe. Die Besucher waren sehr zufrieden - wir natürlich auch!!
Die Aufregung war nicht weniger groß als unser erster Gruppenabend stattfand. Zur Unterstützung kam die Gruppensprecherin aus Siegen. Mit 28 Personen war der kleine Gruppenraum total überfüllt. Die erste Hürde war genommen, viele sollten noch folgen. Wir recherchierten, organisierten, besuchten Vorträge, damit wir an den Gruppenabenden „Neues“ berichten konnten. Die Fragen der Gruppenmitglieder an uns wurden immer komplexer. Leider war es so, dass viele unsere Gruppe besuchten, Informationen sammelten und ohne Dank wieder „verschwanden“. Sie hatten kein Interesse an einer Mitgliedschaft.
Damals war das Internet noch nicht in allen Haushalten verfügbar. Eva Sikora schlug sich so manche Nacht um die Ohren, man hatte keine Flat, sondern ging über den normalen Telefonanschluss ins Internet. Nachts war der Zugang billiger, wir mussten mit unserem knappen Budget haushalten. Leider konnte Eva Sikora ihr Amt aus gesundheitlichen Gründen nicht so lange begleiten, und so übernahm später Ulla Schnarre, die auch von Anfang an in der Gruppe war, mit mir zusammen die Gruppenleitung.
Nachdem mich einige Gruppenmitglieder auf ein Funktionstraining angesprochen hatten, welches über die Krankenkassen gefördert wird, nahm ich dies 2003 in Angriff. Unter der Leitung der Physiotherapeutin Ingrid Kirch aus Lohra, die für die Durchführung des Trainings eine Zusatzausbildung speziell für Fibromyalgie absolvierte, sowie durch Vorgespräche mit Ärzten und Krankenkassen und dem Verband der Deutschen Fibromyalgie Vereinigung (DFV) e.V., konnten wir dann endlich im Januar 2004 starten. Die Bürokratie dazu, bis alles seinen Gang nehmen konnte, war sehr aufwendig und nervenaufreibend, da die Abrechnung mit den Krankenkassen sich erst einspielen musste. Wegen all dieser Hürden wollte ich damals schon fast aufgeben!!!
Doch durch unseren Optimismus läuft das wöchentliche Funktionstraining jetzt bereits seit fast 15 Jahren erfolgreich!! Die Betroffenen lernen, sich trotz Schmerzen zu bewegen, die verkürzte Muskulatur zu dehnen und lernen, Entspannungsmethoden in den Alltag einzubauen, damit die Schmerzen erträglicher werden.
Wichtig für den Erfolg der Übungen ist die regelmäßige Überwachung durch die Therapeutin. Das gemeinsame Training mit Menschen, die die gleichen Beschwerden haben, ist wie „Balsam für die Seele“.
Ich möchte mich auf diesem Wege nochmals ganz herzlich bei Ingrid Kirch für ihre unermüdliche Tätigkeit und ihren Einsatz und für das gute Miteinander und „ihr immer für uns da sein“ bedanken. Ohne sie hätte das Funktionstraining in dieser Form nicht stattfinden können.
Es ist schon ein großer Erfolg, dass sich sowohl die Selbsthilfegruppe als auch die Funktionstrainings-Gruppe in den vergangenen 20 Jahren, und fast 15 Jahre Funktionstraining, etabliert und maßgeblich zum Bekanntheitsgrad des Krankheitsbildes Fibromyalgie in der Region beigetragen haben.
Der Bedarf an Austausch und Information war und ist bis heute immer noch sehr groß. Wir können mit Stolz auf unsere Gruppenabende zurückblicken, an denen wir vielen verzweifelten Frauen Mut machen konnten.
Übungen wie Gedächtnistraining, Lach-Yoga oder Gymnastik, Faschingsfeiern, Besuche in der Salzgrotte, Vorträge von Ärzten, Therapeuten sowie Versorgungsamt, Ernährungsberatung, QiGong, usw. sind ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens mit der Fibromyalgie.
Unsere jährlichen Ausflüge und Wanderungen mit Partnern, die sehr viel Spaß gemacht haben, obwohl die „Fibro“ immer mit dabei ist, Wohlfühlnachmittage, unser jährliches Adventsfrühstück, bei dem ich unsere Mitglieder immer mit kleinen Geschenken überraschte, die Treffen in Restaurants, bei denen wir lustige Sketche aufführten, und die regelmäßigen Gruppentreffen sind nicht zu vergessen.
Wichtig für uns in all den Jahren war und ist, dass weiterhin der gemeinsame Austausch stattfindet, die Fröhlichkeit und das Lachen - trotz Schmerzen - nicht verloren gehen, dass der Zusammenhalt bleibt sowie die Gestaltung der Gruppenabende und Aktivitäten - denn nur gemeinsam sind wir stark!!
Als ich im Juni 1999 mit Eva Sikora die Gruppe gegründet habe, hätte ich nie gedacht, dass ich dieses Ehrenamt trotz meiner Erkrankungen einmal 20 Jahre lang leisten könnte. Dass wir heute nach 20 Jahren die Gruppengründung feiern können, verdanken wir unseren Gruppenteilnehmern, die all die Jahre unsere Gruppenabende und unsere Aktivitäten besuchten!!
Ohne sie gäbe es keine 20 Jahre SHG „Marburg und Umgebung“!!
Gemeinsam mit den Mitgliedern konnten wir den Abschluss unseres Ehrenamtes als Gruppensprecherinnen mit unserem 20-jährigen Gruppenjubiläum am 14.06.2019 in einem Restaurant in Marburg feiern, mit gutem Essen, viel Spaß und lustigen Geschichten von früher. Es war rundum eine schöne und harmonische Feier. Über die Blumen und die Gutscheine von Euch, liebe Gruppenmitglieder, haben wir uns sehr gefreut. Nochmals vielen lieben Dank dafür!!
Ein Dankeschön geht auch an den Vorstand der DFV e.V. für die jahrelange gute Zusammenarbeit, für die Glückwünsche zum Jubiläum sowie für die Urkunde, den Blumenstrauß und die Geldzuwendung.
Wir möchten uns bei allen Gruppenmitgliedern für das Vertrauen, die gute Zeit und das gute Miteinander recht herzlich bedanken und selbstverständlich bleiben auch wir unserer „Fibro-Gruppe“ weiterhin treu!!
Nun legen Ulla Schnarre und ich unser Ehrenamt als Gruppensprecherinnen der SHG Marburg und Umgebung zum 30.06.2019 nieder.
Wir übergeben die Gruppenleitung zum 01.07.2019 an unsere Mitglieder Sandra Büttner, Silke Koch und Christiane Frommknecht, die diese als Gruppensprecher-Trio weiterführen werden. Wir bedanken uns, dass sie dieses Ehrenamt übernehmen und wünschen ihnen dazu viel Kraft, Optimismus und Durchhaltevermögen für die Zukunft und hoffen, dass die Gruppe noch lange weiterleben wird.
In diesem Sinne
Eure
Angelika Wagner und Ulla Schnarre
Gruppensprecherinnen
Im Anschluss noch ein Gedicht von Ulla Schnarre!
Fibromyalgie, was ist denn das?
Hab‘ ich das auch, das macht kein Spaß.
Wegen ständiger Schmerzen zum Arzt zu rennen
und auf Ärzte treffen, die die Krankheit oft nicht kennen.
Es spielen sich ab, so manche Dramen,
bis endlich der Schmerz hat einen Namen.
Und dann geht es gleich wieder los,
wie behandelt man die Schmerzen bloß?
Der eine kann Medikamente vertragen,
die einen anderen höllisch plagen.
So muss jeder für sich entscheiden,
das kann ich machen, mit was anderem leiden.
Mein persönlicher Schmerz geht fast weg,
wenn ich im Aquajogging-Becken steck‘.
Es muss jeder für sich selbst probieren,
wie er die Muskelfasern kann schmieren und trainieren.
Aber für Ratschläge, Erfahrungen und Tipps,
wie wunderbar, ist zum Glück die Selbsthilfegruppe da.
Die Gruppe macht uns wieder Mut,
und tut vor allem der Seele gut.
Wär‘ doch gelacht, wir sind Optimist,
der in der Gruppe den Schmerz 'mal vergisst.
20 Jahre unsre Selbsthilfegruppe besteht,
und es ist schön zu sehen, dass es weitergeht.
Angelika und ich geben unsere Aufgabe als
Gruppensprecherin und Stellvertreterin ab,
von nun an halten Sandra, Silke und Christiane,
die Gruppe „auf Trapp“.
Aber niemand sollte sich darauf ausruh‘n,
jeder kann etwas dazu tun.
In diesem Sinne, auf ein gemeinsames Gelingen!
Eure
Ulla Schnarre
SHG Marburg und Umgebung