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Autogenes Training

Den Hintergrund bildeten dabei seine Erfahrungen mit der Suggestions- und Hypnosebehandlung. J. H. Schultz vermutete damals, dass diese Form der Selbstsuggestion nichts mit Einbildung oder Selbstbetrug zu tun hat, da die Effekte dieser Selbstsuggestion durch objektive (physiologische) Methoden nachgewiesen werden können. Dies stellte sich schon bald nach der Entwicklung des AT heraus (s. Literaturangaben). Dadurch und durch die Tatsache, dass das AT relativ leicht erlernt werden kann, fand es sehr schnell eine - auch internationale - Verbreitung. Heute gilt das AT als eine grundlegende Methode für die begleitende Behandlung vieler psychosomatischer, körperlicher und psychischer Erkrankungen, für deren Prävention sowie für die allgemeine Gesundheitserhaltung.

Der Bergriff des AT ist aus den griechischen Wörtern "autos" (selbst) und "gen" (erzeugend, bildend, auch übend) abgeleitet. Der im AT enthaltene Begriff des Trainings betont, dass es - ebenso wie die meisten Sportarten - durch systematisches, regelmäßiges Üben gelernt werden kann und dass mit zunehmendem Training die Effekte und Erfolge zunehmen. Körper und Psyche werden durch die häufige Wiederholung auf die Übungen "eingestimmt" und die Entspannungseffekte werden schneller erreicht. Ein längeres Absetzen des Trainings - auch nach der erfolgreichen Teilnehme an einem Kursus - führt in der Regel (ebenso wie im Sport) zu einem Nachlassen der Effekte und Erfolge, und man muss - zumeist nach Enttäuschungen bei Wiederaufnahme der Übungen - erneut verstärkt trainieren, um die positiven Effekte wieder zu erreichen. 

Wichtig dabei ist, dass men die Entspannungseffekte nicht erzwingen kann. In diesem Punkt unterscheidet sich das AT ganz erheblich vom Training in den meisten Sportarten, bei denen u. U. ein "eiserer Wille" mit zum Erfolg beitragen kann. Entspannung erfordert - im Unterschied zu leistungsorientiertem sportlichem Training - eine gelassene Grundeinstellung ohne inneren oder äußeren Leistungsdruck. Leistungsdruck bedeutet ja, dass man sich selbst "unter Druck" setzt dass man sich selbst zu einer bestimmten Leistung zwingen will. Ein solcher (auch selbst auferlegter) Druck und Zwang ist der Zielsetzung des AT - nämlich der Entspannung - sowohl psychisch als auch körperlich vollkommen entgegengesetzt. Beim Lernen des AAT geht es vielmehr darum, den eigenen Körper reagieren zu lassen, die Effekte (zunächst langsam) "kommen zu lassen". Dabei und dafür muss man sich und seinem Körper Zeit lassen und zunächst auch etwas Geduld üben. Die angenehmen Effekte treten mit der Zeit (und dies ohne Leistungsorientierung) auf. Das AT ist eine Methode der Selbstentspannung, die auf der Erkenntnis beruht, dass durch die systematische und wiederholte Vorstellung sog. Formeln ein Zustand körperlicher Entspannung erreicht werden kann, der - nach einiger Übungserfahrung - auch eine psychische Entspannung und Erholung nach sich zieht. Damit kann das AT jedem helfen, sich schneller und gezielter in bestimmten Situationen (wie etwa Belastungssituationen) zu entspannen und Kräfte für die Situationsbewältigung zu sammeln. Der Erholungseffekt des AT wird aber auch allgemein ( d. h. nicht nur in Belastungssituationen) als positiv erlebt und kann das Allgemeinbefinden auf die Dauer verbessern und stabilisieren. So führt auch J. H. Schultz neben der körperlichen psychischen Erholung und Entspannung

  • die Selbstruhigstellung und Dämpfung negativer Effekte (etwa Ängste)
  • die Leistungssteigerung (etwa der Konzentrationsfähigkeit und der Gedächtnisfertigkeiten)
  • die Selbstregulation eigentlich autonomer Körperfunktionen (wie etwa des Blutkreislaufes)
  • die Schmerzdämpfung
  • die erhöhte Selbstbestimmung
  • die erhöhte Selbstkontrolle und Selbstkritik 

durch eine verbesserte Wahrnehmung der eigenen Person als die zentralen Ziele und Anwendungsbereiche des AT auf. Diese Wirkungen des AT wurden durch hunderte erfahrungswissenschaftliche Untersuchungen , die in den letzten 6 Jahrzehnten durchgeführt wurden, bestätigt. Sowohl für körperlich - physiologische Variablen (etwa Pulsveränderungen, Veränderungen im Hirnstrombild, Körpertemperaturänderungen, Entspannung der Muskulatur) als auch für psychologische Variablen (wie etwa allgemeines Wohlbefinden, emotionale Stabilität, Selbstwertgefühl, Lebenszufriedenheit) liegen inzwischen Wirkungsnachweise für das AT vor. Seine Hauptanwendungsgebiete liegen dabei nicht nur in der begleitenden Behandlung psychosomatischer, psychischer und physischer Erkrankungen sowie in der Prävention von Erkrankungen und Fehlverhalten bei Stress und Überforderungen im Beruf, Privatleben, in der Ausbildung, im Sport .

Das AT kann zwar nicht auf direktem Wege Belastungen, Probleme oder Konflikte lösen oder beseitigen. Mit seiner Helfe können wir jedoch günstigere Voraussetzungen schaffen, um mit vorhandenen Belastungen leichter umgehen zu können. Wir können lernen, auf Verspannungen mit gezielter Entspannung zu reagieren. Damit vergrößern wir zunächst den Abstand zu den unbewältigten Themen. Ist das erreicht, fällt es leichter, sich gelockert mit der Bearbeitung und Lösung von problematischen Situationen zu befassen. Darüber hinaus bedeutet eine gelassenere Einstellung gegenüber Konflikten und Problemen aktive Gesundheitsvorsorge, mehr Selbstsicherheit und mehr Entspannung. Das AZ kann helfen, eine gelassene Grundhaltung zu erlangen und zu stärken, die es ermöglicht, mit den Alltagsbelastungen und den eigenen Schwächen besser fertig zu werden. Gesundheitsvorsorge bedeutet auch vorsorglich ein Entspannungsverfahren zu erlernen, das sich in schwierigen Situationen hilfreich anwenden lässt. 

Im AT lernt man die positive willentliche Beeinflussung des vegetativen Nervensystems. Jeder kennt die geistig und körperlich negativen Auswirkungen von negativen Einredungen: Versagensbefürchtungen führen u. a. zu Blutdruckanstieg, Gereiztheit und/ oder Schweißausbrüchen. Mit unseren positiven suggestiven Möglichkeiten können wir über das vegetative Nervensystem (Lebensnervensystem, weil es die Lebensfunktionen steuert) des Muskel- und Kreislaufsystem positiv beeinflussen und den z. B. erhöhten Blutdruck senken. 

Das AT versteht sich als ein ganzheitliches Verfahren, das die Einheit von Körper und Seele fördert. Diese Verknüpfung ist bedeutsam, weil Leiden und Beschwerden des Menschen sich nicht nur in Teilbereichen zeigen. Im AT verbinden wir die geistige, gefühlsmäßige und körperliche Ebene mit Autosuggestion (Selbstbeeinflussung), die sich mittels Körperwahrnehmung auf Zustandsveränderungen in den Organfunktionen richtet. Wir werden uns unserer Ganzheit bewusst und lernen ganzheitlich zu leben 

In den 6 -10 (Doppel-) Stunden eines Kurses sollen. Nach den jeweiligen Entspannungsübungen die Wahrnehmungen und Erlebnisse während der Übungen besprochen und daraus Schlüsse gezogen werden. Das ist zur ganzheitlichen Absicherung wichtig und kann nur in kleinen Gruppen mit etwa 6 bis höchstens 12 Personen stattfinden.

Das AT unterscheidet sich in drei verschiedenen Stufen: die Grundstufe, die Fortgeschrittenenstufe und die Oberstufe.

Über die Grundstufe des Autogenen Trainings, die im folgenden näher dargestellt wird, geht es in der Fortgeschrittenenstufe um eine sog. formelhafte Vorsatzbildung, bei der für den Alltag maßgeschneiderte formelhafte Vorsätze gebildet und eingeübt werden. Bei der Oberstufe geht es um Autogene Meditation. Die Meditierenden können die Innenschau vertiefen und den Sinnfragen des Lebens nachgehen. Die Beherrschung der grundlegenden Entspannungsübungen (i.S. Formeln der Grundstufe) ist Voraussetzung zum Erlernen weiterer Stufen. Zu unterscheiden ist neben der Kennenlern- die Übungs- und schließlich Anwendungsphase. Geht es in der Kennenlern phase (die in der Regel fremdsuggestiv vermittelt wird) darum, die Formeln der Grundstufe des AT kennen zu lernen, wird in der Übungsphase, die einen Zeitraum von minderstens6, höchstens 12 Wochen umfassen wird, um die autosuggestive Einübung des Kennengelernten. Nach einer Übungsphase von 6 - 12 Wochen errecht der Übende dann die sog. Anwendungsphase, in welcher schließlich gezielt und vor allem erfolgreich gewünschte Entspannungseffekte auslösen und erhalten kann. 

Kurse für AT bieten heute fast alle Bildungseinrichtungen und Volkshochschulen an. Dort sind die üblichen Kursgebühren zu bezahlen. Die Therapeuten, die AT anbieten, sollen als Grundausbildung Psychologie oder Medizin studiert und eine umfassende Weiterbildung absolviert haben, um AT fundiert vermitteln zu können. Die jeweilige Einrichtung kann über den Ausbildungshintergrund der Lehrenden Auskunft geben; qualifizierte Therapeuten kann man über den Psychologischen Arbeitskreis für AT und Progressive Relaxation beim Bundesverband Deutscher Psy chologinnen und Psychologen erfahren (Anschrift: Psychologischer Arbeitskreis für AT und PR im BDP, Moselstr. 3, 12159 Berlin).

Die Formelsätze des AT (Grundstufe)

Im folgenden werden die Formelvorsätze des AT in der üblicherweise applizierten Form dargestellt. Die Formelvorsätze bauen aufeinander auf, ihre Reihenfolge sollte weder beim Erlernen noch beim Einüben verändert werden. Jede Formel sollte mit der eigenen inneren Stimme still wiederholt nachgesprochen werden (inneres Sprechen), um auf diese Weise autosuggestiv die entsprechende Entspannungsempfindung auszulösen und zu erleben. Die gedankliche Konzentration auf den jeweiligen Formelvorsatz soll in der Lernphase, in der dies von einem Kursleiter fremdsuggestiv gesteuert wird, etwa 1-2 Minuten anhalten, wobei dem Wortlaut der Formelvorsätze auch Imagination (innere Bilder) im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen können. 

  1. Erste Formel = Ruhe: "Ich bin ganz ruhig". 
  2. Zweite Formel = Schwere: "Mein rechter (linker) Arm ist ganz /angenehm schwer. Beide Arme sind ganz/Angenehm schwer", mein rechtes (linkes) Bein ist ganz/Angenehm schwer, beide Beine sind ganz/angenehm schwer", "Arme und Beine sind ganz/angenehm schwer". 
  3. Dritte Formel = Wärme: "Mein rechter (linker) Arm ist ganz/angenehm warm, beide Arme sind ganz/angenehm warm", mein rechtes (linkes) Bein ist ganz/angenehm warm, beide Beine sind ganz/angenehm warm, Arrme und Beine sind ganz/angenehm warm".
  4. Vierte Formel = Atmung: "Ich atme ganz ruhig - es atmet mich, oder mein Atem fließt ruhig und gleichmäßig". 
  5. Fünfte Formel = Herz/Puls: "Mein Herz schlägt kräftig und gleichmäßig, oder mein Puls schlägt kräftig und ganz von selbst". 
  6. Sechste Formel = Sonnengeflecht/Bauch: "Mein Sonnengefecht ist strömend warm, oder mein Bauch ist angenehm/strömend warm". 
  7. Siebte Formel = Stirnkühle: "Meine Stirn ist erfrischend/angenehm Kühl, oder meine Stirn, mein Gesicht sind angenehm kühl, glatt und entspannt". 

Rücknahme der Entspannung: Tief und kräftig durchatmen, Augen öffnen, sich kräftig recken und strecken.

Eine erweiterte Form der Grundstufe des AT beinhaltet noch eine Formel, die den Körperbereich des Nackens und der Schultern mit in die Entspannung einzubeziehen versucht. Diese Formel findet Platz zwischen der Herz/Puls und Sonnengeflecht/Bauch - Formel. 

Sie lautet: "Mein Nacken, meine Schultern sind angenehm warm und entspannt". 

Die genannten Formeln sollten während der Lernphase sowohl fremd- als auch autosuggestiv jeweils 3x gesprochen werden. Mit zunehmender Übungserfahrung wird es gelingen, ein jeweils 2- und schließlich nur noch 1 maliges Ansprechen als ausreichend zu erleben. Als hilfreich erwiesen haben sich sog. Visualisierungen, welche die in den Formeln angesprochenen Entspannungsempfindungen entsprechend leichter und intensiver auslösen und erhalten können (ein Ruhe - getöntes Bild, ein Bild, welches Schwere verdeutlicht, ein Bild, welches Wärme verdeutlicht, ein Bild, welches ruhiges und gleichmäßiges Atmen verdeutlicht, ein Bild, welches einen kräftigen und gleichmäßigen Herz/Pulsschlag verdeutlicht, ein Bild, welches ein strömendes Sonnengeflecht/ einen angenehm warm empfundenen Bauch verdeutlicht, ein Bild welches eine angenehme Kühle über Stirn und Gesicht verdeutlicht, Ein Bild welches eine angenehme Wärmeempfindung an Nacken und Schultern verdeutlicht.)

Literaturangabe 

1. Boeckel, Johannes: "Warten leicht gemacht", Südwest, München, 1985 2. Brenner, Helmut "Autogenes Training", Humboldt; München, 1997 (HT336) 3. Brenner, Helmut: "Entspannungstraining" (Anleitungsbuch mit Tonkassette), Humboldt, München, 1996 (HT809) 4. Buchmann, Knud Eike: "Die Kunst der Gelassenheit", Herder, Freiburg, 1990 5. Vaitl und Petermann: "Handbuch der Entspannungsverfahren", Beitz - Verlag 

Im "Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V." ist ein Arbeitskreis für AT und Progressive Relaxation eingerichtet, ein Zusammenschluss von Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen, welche diese Formen der Gesundheitsbildung lehren, und die für Interessierte eine Adressenliste qualifizierter Diplom - Psychologinnen und Diplom -Psychologen bereit halten. Therapeutenadressen sind über die Geschäftsstelle des Arbeitskreises für AT und progressive Relaxation zu erhalten: Psych. AK für AT und PR Moselstr. 3 12159 Berlin (Bitte Rückporto beilegen) 

Gerhard Schwab, Dipl. - & Psychologischer Psychotherapeut 
Klinikum Bad Bocklet Psychosomatische Klinik, Frankenstr. 36 97708 Bad Bocklet