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Qigong Yangsheng

Qigong Yangsheng bei Patienten mit Fibromyalgie 

Qigong ist ein Sammelbegriff für vielfältige Übungsmethoden, die in China entwickelt wurden und sich in unterschiedlicher Weise mit der Lebenskraft "Qi" beschäftigen. Im Rahmen der traditionellen chinesischen Heilkunde stellt Qigong deren aktiven Teil "Gong" dar. Die Pflege und Kultivierung der Lebenskraft "Yangsheng" und das eigene Bemühen um Gesunderhaltung und Heilung sind ein wertvoller Baustein in der komplexen Therapie der Fibromyalgie. 

Die Übungen des Qigong umfassen Körperhaltungen und Bewegungen, Atemübun- gen sowie die geistigen Übungen der Konzentration und Imagination. Mit Hilfe der Übungen können körperliche, seelische und geistige Funktionen reguliert und gestärkt werden. Die Übungen lassen sich gemäß den individuellen Bedingungen anpassen und auswählen, so daß sie weitgehend unabhängig vom Gesundheitszustand  von jedem erlernt und geübt werden können.

Qigong in der Schmerztherapie

Gerade bei chronischen Schmerzen ist diese aktive Methode der Selbstregulierung indiziert.

Wie in der westlichen Medizin so wird auch in der TCM (Traditionelle Chinesische Medizin) der Schmerz als "Aushängeschild" für eine ihm zugrunde liegende Störung angesehen.

Ziel der Qigong Übungen ist, diese Störungen zu beseitigen, die Ausgewogenheiten von Yin und Yang wiederherzustellen, die Leitbahnen durchgängig zu machen, Qi und Blut zu harmonisieren, um das "Wahre Qi", nämlich die Gesamtheit aller physiologischen und psychischen Funktionen zu stärken.

Während der Qigong-Übungen werden durch bestimmte Körperhaltungen, Bewegungen, Kraftentfaltungen sowie durch Lenken und Bewahren der Vorstellungskraft Akupunkturpunkte und auch Leitbahnen aktiviert. Dadurch können Energieblockaden gelöst werden, die Muskulatur kann sich entspannen, die Schmerzen lassen nach.

Bei chronischen Schmerzzuständen kommt es zu einer Erhöhung des Sympathikotonus, der eine Steigerung des Muskeltonus mit sich bringt. Gleichzeitig wird die Schmerzschwelle erniedrigt. Ziel der therapeutischen Bemühungen muss sein, das Vegetativum wieder in Richtung der Vagotonie zu verschieben. 

Psychisch wirksame Verfahren wie z. B. Qigong Yangsheng, progressive Muskelentspannung, Biofeedback, autogenes Training usw. leisten diese Arbeit .

6 Übungsprinzipien

Es gibt sehr viele unterschiedliche Qigong-Übungen. Die drei Faktoren Körper, Atmung und Geist werden in jeder Übung in unterschiedlicher Weise betont und miteinander verbunden. Allen Übungen gemeinsam sind sechs Prinzipien des Übens: 1. Entspannung, Ruhe und Natürlichkeit. 2. Vorstellungskraft und Qi folgen einander. 3. Bewegung und Ruhe gehören zusammen. 4. Obere Leichtigkeit - untere Festigkeit. 5. Das richtige Maß. 6.Schritt für Schritt üben.

Am Beispiel des 4. Übungsprinzips "Obere Leichtigkeit - untere Festigkeit" soll gezeigt werden, wie durch Qigong das Vegetativum in Richtung Vagotonie beeinflußt werden kann. Die Grenzlinie zwischen oben und unten ist die Nabelhöhe. Während des Übens soll im unteren Bereich des Körpers ein Gefühl von Stabilität, Festigkeit und Kraftfülle vorherrschen, im oberen Bereich ein Gefühl von Leichtigkeit und "Leere". Die Grundlage der oberen Leichtigkeit ist die untere Stabilität. Deshalb wird beim Üben des Qigong zuallererst auf die Entwicklung eines festen Fundaments Wert gelegt.

Zahlreiche Übungselemente dienen diesem Ziel: das Bewahren der Vorstellungskraft im mittleren Dantian (Körperzentrum etwas unterhalb des Nabels), die Vorstellung einer festen Verwurzelung in der Erde, die Körperhaltung mit nach unten gerichteten Gesäßkraft, so daß die Knie leicht gebeugt sind. Alle nach unten gerichteten Vorstellungen werden mit einer Gewichtung von 70%, die nach oben gerichteten mit einer Gewichtung von 30% geübt. 

Der untere Körperbereich ist mehr dem Yin, dem Verdichten, dem Sammeln und dem Nähren zugeordnet. Dies entspricht dem Überwiegen des Vagotonus. Der obere Körperbereich ist mehr dem Yang zugeordnet, der Aktivität, dem Zerstreuen, dem Verbrauch.  Dies entspricht dem Überwiegen des Sympathikotonus im vegetativen Nervensystem. Eigene Untersuchungen über Kreislauf, Atmung und Kalorimetrie während der Qigong-Übungen bestätigen den Mechanismus des eher vagotonen Effektes.

Nicht zu unterschätzen sind weitere psychisch wirksame Komponenten des Qigong:

Das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, am Heilungs- bzw. Linderungsprozess mitwirken zu können, wird gestärkt. Die psychische Befindlichkeit wird durch bildhafte Inhalte der Übungen, die sich an positiv besetzten Naturbildern (Flug des Kranichs, Stehen wie eine Kiefer) orientieren, aufgehellt. Die "Poesie" der Übungen, d.h. ihre natürliche Ästhetik und Anmut,  fördert ebenfalls eine wohlgestimmte psychisch-geistige Befindlichkeit.

Qigong als aktive Therapie

Vor allem bei dem Krankheitsbild der Fibromyalgie sind auf Dauer aktive krankengymnastische Maßnahmen den passiven Therapieformen vorzuziehen. Die Bewegungen im Qigong Yangsheng sind langsam, weich und fließend, beinhalten aber auch Ruhehaltungen, die isometrischen Übungen ähnlich sind. So gibt es, am Beispiel der Vorbereitungshaltung "Stehen wie eine Kiefer" gezeigt, viele Anforderungen, die zur Kräftigung der Rücken- und Bauchmuskulatur und dadurch zu einer Stabilisierung der Wirbelsäule beitragen. Man übt im Beckenbereich neben der "inneren Schließung", wobei sich die Beckenschaufeln und Hüftgelenke vom Rücken ausgehend nach vorne ein wenig zum Rund schließen, eine Lockerung im Lenden-Kreuzbereich. Das Gesäß wird etwas gesenkt, so als wolle man sich setzen, was zu einer Lockerung und Dehnung in der Lendenwirbelsäule führt. Das ist der Bereich, der bei Patienten mit chronischen Rückenschmerzen starke Verspannungen in der Muskulatur zeigt. Durch Qigong-Übungen wird dieser Bereich gelockert und durch stetiges Üben die Muskulatur im richtigen Maß von Anspannung und Entspannung aufgebaut.

Eine weitere Anforderung bezieht sich auf die Haltung des Kopfes. Der Kopf ist gerade, der Nacken entspannt und natürlich aufgerichtet, wobei das Kinn leicht angezogen wird. Der Blick geht geradeaus locker in die Ferne, was zu einer Entspannung der Augen- und der mimischen Muskulatur führt. 

Regelmäßiges, beständiges Üben von Qigong führt zu langsam sich verbessernden physiologischen und psychischen Faktoren im Sinne einer Regulation und Stärkung.

Qigong-Übungen sind ein aktiver Prozeß zur Selbstregulierung und Selbstwiederherstellung. Nicht eine zugeführte Substanz oder die Behandlung durch einen Therapeuten lindern die Schmerzen, sondern die eigene Aktivität und das Üben des Patienten stehen im Vordergrund. Dieser Faktor fördert die Mitverantwortung des Patienten und das Kennenlernen der eigenen Kräfte und Fähigkeiten.

Beispiele und Erfahrungsberichte von Fibromyalgie-Patienten machen dies deutlich.

Erfahrungen mit einer Fibromyalgie-Selbsthilfegruppe

Mit Teilnehmern einer Fibromyalgie-Selbsthilfegruppe  werden seit ca. 2 Jahren überwiegend die 15 Ausdrucksformen des Taiji Qigong nach Prof. Jiao Guorui geübt. Zu Beginn übten fast alle Teilnehmer im Sitzen und mussten die Rückenlehne zur Unterstützung für ein aufrechtes Sitzen in Anspruch nehmen. Durch regelmäßiges Üben von Qigong hat sich dies positiv verändert. Freies, aufrechtes Sitzen über einen längeren Zeitraum und Figuren im Stehen auszuüben stellt heute keine Schwierigkeit mehr dar. Das Wechselspiel von Stehen und Sitzen wird begünstigt, weil jeder Teilnehmer sein persönliches Maß von Intensität, Kraftaufwand, Imagination sowie Ausdehnung seiner Bewegungen unter Berücksichtigung der sechs Prinzipien selbst bestimmt. Dies ist wichtig, weil somit der momentanen persönlichen Befindlichkeit Rechnung getragen werden kann. Alle Übungen werden mit großer Konzentration, Ruhe und Aufmerksamkeit ausgeführt. 

Vorgegebene Bilder und persönliche Vorstellungskraft erleichtern und intensivieren die einzelnen Übungen. Als Beispiel soll die Figur  "der Kondor breitet seine Schwingen aus" dienen. Hierbei hilft die Vorstellung, dass ein Wind (Stärke und Temperatur werden selbst bestimmt) unter die leicht geöffneten Arme streicht, diese sich dadurch fast von allein ausbreiten und heben. Die Schultern bleiben dabei entspannt, der Oberkörper richtet sich auf und die Atmung kann frei fließen. Besonders gut gelingt dies, wenn die untere Festigkeit, eine grundlegende Anforderung, gegeben ist. 

Eine besonders beliebte Figur stellt "Der Elefant kreist mit der Hüfte" dar. Hierbei wird eine kreisende, horizontale  Bewegung mit dem Becken ausgeführt. Gleichzeitig geht der Körper in eine diagonale Streckung. Besonders der Lenden-Kreuz-Bereich sowie die großen Gelenke werden durch diese Übung gestärkt, gelockert und somit wieder beweglicher, was die Teilnehmer bei ihren alltäglichen Bewegungen sehr schnell positiv bemerken. Rückenschmerzen verringern sich. Qigong-Übende können sich wieder über einen längern Zeitraum leichter bewegen.

Auswirkungen auf den Alltag

Einige Rückmeldungen der Teilnehmer belegen, dass sie sich nicht nur im Kurs entspannen können. Bei regelmäßigem Üben tritt auch im Alltag auf Dauer mehr Ruhe ein. Die Wahrnehmung für das persönliche Befinden wird gestärkt. Dadurch kann auf Veränderungen wie z.B. Einfluß durch Wetterwechsel oder vermehrter Stress am Arbeitsplatz früher reagiert werden. Besonders erfreut sind die Teilnehmer, wenn sie sich im Schlaf entspannen und nicht verkrampfen und somit nicht mit Schmerzen erwachen. 

Ausnahmslos alle Teilnehmer berichten, dass sich Verkrampfungen, besonders im Schulterbereich, dauerhaft gelockert und ihre allgemeine Beweglichkeit sich stark verbessert haben. Dies äußert sich unter anderem darin, dass es ihnen nach langer Zeit wieder möglich ist, einen Reißverschluss auf dem Rücken hochzuziehen oder ohne Probleme etwas aus dem oberen Küchenschrank zu nehmen.

Eine wichtige Erfahrung von  Fibromyalgiepatienten ist die Erkenntnis, dass sie durch Qigong selbst Einfluss auf ihr Befinden nehmen können. 

Sie können dem Schmerz etwas entgegen setzen, ihr Wohlbefinden verbessern, mehr Ausgeglichenheit in ihr alltägliches Leben eintreten lassen und somit ihre Lebensqualität positiv beeinflussen.

Qigong stellt eine Methode dar, die bei kontinuierlichem Ausüben positive Auswirkungen auf unterschiedlichen Ebenen zeigt und ohne  Nebenwirkungen bleibt.

Adresse

Dr. Christa Zumfelde-Hüneburg
Goethestr. 46
53113 Bonn

Renate Schulz, Dipl. Sozialpädagogin
Am Wunschbrunnen 5
45327 Essen

Literatur

  1. Jiao, Guorui: Qigong Yangsheng. Chinesische übungen zur Stärkung der Lebenskraft. Ratgeber Fischer Taschenbuch. 4. Auflage 1999
  2. Jiao, Guorui: Qigong Yangsheng. Medizinisch-Literarische-Verlagsgesellschaft, Uelzen,  4. Auflage 1994.
  3. Zumfelde-Hüneburg, C.: Einfluß der Qigong Yangsheng Übungsmethode Tuna auf Parameter der Keislauf und Atemfunktion. Jahresheft Qigong Yangsheng. Medizinisch-Literarische-Verlagssgesellschaft, Uelzen, 1994.
  4. Zumfelde-Hüneburg, C.: Auswirkungen der Qigong Yangsheng Übungsmethode Tuna auf Energieverbrauch und Atmung: Zeitschrift für Qigong Yangsheng. Medizinisch-Literarische-Verlagsgesellschaft, Uelzen, 1996.