Feldenkrais-Methode
Die Symptome der Fibromyalgie sind komplex, verwirrend und frustrierend für Betroffene und herausfordernd für Therapeut/innen. Sie erfordern eine multidimensionale Behandlung. In dieser Hinsicht bietet die Feldenkreis-Methode eine vielversprechende Dimension in der medizinischen Betreuung. In diesem Beitrag möchten wir einen ersten Eindruck vermitteln, wie die Anwendung der Methode in der Medizinischen Universitätsklinik Heidelberg aussieht, sowie einige Hypothesen unserer Arbeit darstellen.
Bevor die Patienten zu uns in die Rheuma-Ambulanz kommen, haben sie oft eine lange Odysee hinter sich. "Sie haben nichts" haben sie oft gehört, aber sie spüren Schmerzen und sie wissen, daß etwas nicht stimmt. Nach der Diagnosestellung werden die Patienten aus der Rheumaambulanz zu mir überwiesen. Wir bieten eine Gruppe an in "Bewußtheit durch Bewegung" In den Gruppenstunden liegen die Teilnehmer/innen zunächst auf dem Boden. Verbal angeleitet erforschen sie sich in kleinen Bewegungen, die sich im Verlauf einer Stunde zu größeren zusammenhängenden Bewegungsabläufen entwickeln. Es sind Bewegungen aus unserem Alltag: drehen, sich aufsetzen, vom Boden aufstehen. greifen, bücken, atmen, sitzen, stehen, gehen und vieles mehr. Nicht das einüben, sondern die Wahrnehmung der Bewegung ist das Wesentliche. Sie können sich fragen: "Wieviel Kraft wende ich auf? Wie koordiniere ich mich? Wie atme ich? Wie ist mein Rhythmus?" Dadurch wird ein Lernprozess angeregt. Jedes Gruppenmitglied macht dabei seine eigenen Erfahrungen und lernt zu unterscheiden, was für ihn oder sie in diesem Moment stimmig ist und was nicht. Dadurch wächst das innere Urteilsvermögen und jeder findet seinen Weg, sich das Handeln im Alltag zu erleichtern und sich entsprechend seinen Absichten angemessener zu verhalten.
Allerdings ist für viele Patientinnen mit einer so langen Geschichte von Schmerzen und unbeantworteten Fragen die Gruppensituation vorerst oft noch eine Überforderung. Da jedoch sind die Einzelstunden (Funktionale Integration) wie maßgeschneidert.
Im Unterschied zum Gruppenunterricht findet hier die Kommunikation vorwiegend nonverbal statt. Die wahrnehmenden Hände der Feldenkrais Lehrerin begleiten und führen die Bewegungen des Schülers, helfen ihm zu erkennen und regen zu Veränderungsprozessen in innerer und äußerer Haltung und Handlungsweise an. Auch in der Funktionalen Integration geht es um das Erkennen von Gewohnheiten, das Entdecken von Wahlmöglichkeiten und deren Anwendung im Alltag.
Viele Patientinnen klagen neben den ganzkörperlichen Schmerzen, die verschiedene Qualitäten wie Brennen, Ziehen oder Stechen haben, auch über eine hohe Berührungsempfindlichkeit. Wenn das Leben bis jetzt zeigte,daß es bei Berührung "weh tun" wird, ist die erste Aufgabe in der Einzelstunde, die Berührung ohne Angst zuzulassen und die Berührung so respektvoll zu gestalten, daß sie in der Patientin ein Interesse weckt. Diese Art der Berührung ist ein wesentliches Merkmal der Feldenkrais Einzelstunden.
Mit diesem neugierigen Kontakt wird es allmählich möglich, die Berührung von einer Gefahr zum Gewinn umzugestalten. Und dann ist es in der Tat interessant. Denn, zu meiner anfänglichen Überraschung, sind viele Personen, die soviel Schmerz empfinden,auch äußerst wahrnehmungsfähig. Sie sind in der Lage, ihren Schmerz genau zu beschreiben und zu orten. Diese Fähigkeit ist eine sehr wichtige Quelle für die weitere Arbeit.
Warum? Die differenzierte Wahrnehmung setzt die Fähigkeit voraus, die Aufmerksamkeit vielfältig und flexibel auf den Körper zu richten. Hier sind Menschen, die, getrieben durch ihren Schmerz, gelernt haben genau hinzuspüren. Sobald sie Vertrauen gefaßt haben können wir diese Fähigkeit aufgreifen, um zwei Schritte weiter zu entwickeln. Der erste Schritt ist, die Körperempfindung weiter zu erforschen. Alle Feldenkrais-Lektionen sind nicht nur Bewegungslektionen, sondern auch Lektionen, wie wir unseren Körper bei der Bewegung genau wahrnehmen können. Wenn sie damit vertraut sind, kommt der entscheidende zweite Schritt. Ich bitte die Patienten, ihre Aufmerksamkeit zu erweitern und die Wahrnehmung auf die Zusammenhänge von Schmerz, der ihre Aufmerksamkeit bis jetzt fesselt, und andere Empfindungen im Körper, die sie zur gleichen Zeit erleben, zu richten. Dies ist ein weiteres Merkmal der Feldenkrais-Lektionen .Sie beschäftigen sich immer mit einem ganzen Muster der Bewegung und Empfindung. Und es sind diese Zusammenhänge im Muster, über die ich die Patientinnen zum Wesentlichen leiten kann. Das Interesse an dem Empfindungsmuster ist ein Schlüssel zum Wahrnehmungstor des Körperschemas.
Dies ist nicht nur metaphorisch gemeint. Das Nervensystem "verarbeitet" Schmerzempfindungen am Hintergrund des Körperschemas, das selbst im Nervensystem entsteht. Dieses Körperschema wird in weitverbreiteten Netzwerken im Gehirn zusammengestellt und dient als Grundlage der Bewegungskoordination, des emotionalen Erlebens und der Persönlichkeit. Wenn wir in der Lage sind, auf unseren Körper zu achten und uns ihm aufmerksam zuzuwenden, dann geht im Gehirn tatsächlich ein Tor auf.
Die Wahrnehmungstore des Thalamus, eines der Hirnzentren, das als Wächter unsere Wahrnehmung überwacht und nur die wichtigen Empfindungen zum Großhirn weiterleitet und bewusstes Spüren ermöglicht, werden geöffnet. Die Aufmerksamkeit ist der Schlüssel zu diesem Tor der Wahrnehmung. Das respektvolle Interesse am Körper ist genug, dieses Tor zu öffnen. Hierin finden wir dann Zugang zu den Verbindungen zwischen Körperschema, Schmerz und den neurologischen Prozessen der Selbstregulation, durch die die Schmerzempfindlichkeit beeinflusst werden kann.
Aber zuerst ist für viele Patienten keine Verbesserung zu bemerken, oft ist es sogar so, daß sich die Symptome verdeutlichen. Ein erschreckendes Erlebnis für viele. Glücklicherweise vertrauen sie mir genug, um es mitzuteilen. In unseren Gesprächen habe ich herausgefunden, daß die Schmerzqualität sich geändert hat und ich frage nach, um genau zu wissen, auf welche Weise sie sich verändert hat.
Diese Veränderungen des Schmerzes weist auf den Zustand der Patientin hin: sie ist höchst alarmiert und empfindlich für jeden Reiz, der den Zustand provozieren kann. Aber ein alarmiertes Nervensystem ist auch ein aufmerksames, und darin liegt wieder ein Schlüssel. Meine Absicht ist, Sicherheit anzubieten, während wir Wege suchen, die Selbstregulationsprozesse des Gehirns umzuerziehen Und dies geschieht wiederum über die gemeinsame Suche nach so etwas Einfachem wie der Möglichkeit, sich bequem und sicher im Liegen zu lagern.
Die Wirkung ist zweifach. Erstens hat Moshe Feldenkrais entdeckt, wenn wir uns hinlegen und die Körperteile so unterlagern, daß wir den Eindruck bekommen, sicher und unmittelbar am Boden zu liegen, dann wird unser Gehirn vorübergehend den gewohnten Muskeltonus reduzieren, da er der Aufrichtung dient. Wenn wir auf dem Boden liegen, ist der Tonus für die Aufrichtung unnötig, und er kann aufgegeben werden. Mit diesem einfachen Schritt wird die Sicherheit gewahrt auch in einer zweiten Hinsicht.
Mein Umgang mit der Patientin, während wir die bequeme Lage suchen und finden, ist geduldig und beruhigend. Meine bewusste Zuwendung vermittelt der Patientin das Gefühl, dass ich respektvoll und interessiert an ihrem Leben beteiligt bin.
Schore, ein amerikanischer Psychiater, hat gezeigt, dass in der Psychotherapie diese Art von sicherer Anwesenheit eines Therapeuten einen wesentlichen Beitrag zur Heilung leistet. Er zeigte auf, dass während der frühen Kindheit, Mutter und Kind eine "Partnerschaft in der Aufmerksamkeit " entwickeln, wobei das Kind durch eine zuverlässige nonverbale Kommunikation mit der Mutter lernt, die eigene Wahrnehmung und Aufmerksamkeit zu regulieren.
Zustand, Geduld und Zuversicht der Mutter werden vom Kind aufgenommen. Diese Fähigkeit, nonverbal die Steuerung der Aufmerksamkeit zu lernen, bleibt uns lebenslang erhalten.
Die Psychotherapie greift es nur auf. Obwohl die Feldenkrais-Lektionen keine psychotherapeutischen Ambitionen haben, ist die nonverbale Kommunikation von Zuversicht und Vertrauen in die ureigene Selbstregulationsfähigkeit eines Jeden ein wichtiger Teil jeder Lektion. Somit wächst Selbstvertrauen und damit auch Neugierde und Lebenslust.
Mit diesen Schritten ist die Patientin in der Lage, mit mir neue Bewegungsmuster zu untersuchen und diejenigen, die Erleichterung bringen, in dem Alltagsverhalten zu verankern. Mit der neuen Bewegungsart wächst ein vollständigeres und differenzierteres Körperschema, und das wiederum ermöglicht einen neuen Umgang mit dem Körper, mit Schmerzen und damit dem Leben selbst.
Die Erfahrungen der letzten zwei Jahre in der Arbeit mit Fibromyalgiepatientinnen haben gezeigt, dass es sich lohnt, hier die Feldenkrais-Methode anzubieten. Obwohl nicht alle in der Lage sind, aus dieser Vorgehensweise Gewinn zu schlagen, und es noch viel offene Fragen gibt, sind die ersten Erfahrungen vielversprechend.
Wir danken für diesen Beitrag
Roger Russell, Feldenkrais-Zentrum Heidelberg
Bergheimer Str. 31, 69115 Heidelberg
Renate Wellmann, Medizinische Universitätsklinik
Abt. Innere Medizin II, Allg. klinische psychosomatische Medizin
Bergheimer Str. 58, 69115 Heidelberg
Weitere Informationen: http://www.feldenkrais.de