Fakten und Fake-News zur Fibromyalgie
Schmerzspezialisten diskutierten auf dem 125. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM) vom 04. - 07. Mai 2019 in Wiesbaden beim klinischen Symposiums: Fibromyalgie – Fakten, alternative Fakten und ‚fake News‘. Prof. Dr. Rolf-Detlef Treede (Neurophysiologe am Centrum für Biomedizin und Medizintechnik Mannheim) räumt in seiner Eröffnungsrede ein „Wir alle haben die Erkrankung noch nicht vollständig verstanden.“ Doch die medizinischen Fachgesellschaften sehen im Dauerschmerz nicht mehr ein Symptom, vielmehr sei durch eine Störung der endogenen Schmerzkontrolle, der Schmerz selbst die Erkrankung.
Der seit 2003 in Deutschland* angewendeten ICD-10 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) sortierte das Fibromyalgiesyndrom unter der Schlüsselnummer M79.7 als „Sonstige Krankheiten des Weichteilgewebes“. Dazu zählen auch „Rheumatismus, nicht näher bezeichnet“ (M79.0) oder „Myalgie“ (M79.1) sowie „Neuralgie und Neuritis, nicht näher bezeichnet“ (M79.2). Diese Nähe zu rheumatischen und neuropathischen Erkrankungen definiert den Schmerz als Symptom.
Zukünftig findet sich das Fibromyalgiesyndrom als eigenständige Kategorie der chronischen Schmerzerkrankungen, ohne den bislang bemühten Bezug zu Rheuma oder Weichteilgewebe. In der derzeit diskutierten und ab 1. Januar 2022 gültigen ICD-11 wird nun unter der Ziffer MG30 die Kategorie „Chronische primäre Schmerzsyndrome“ eingeführt. Diese Diagnose ist zu erwägen wenn Schmerzen länger als 3 Monate anhalten oder im Laufe der 3 Monate ständig erneut auftreten. Durch diese Neu-Kategorisierung der Fibromyalgie können Betroffene rascher an einen spezialisierten Schmerztherapeuten überwiesen werden.
Denn ohne ICD-Diagnose-Ziffer ist eine Kostenabrechnung mit der Krankenkasse kompliziert und infolgedessen erhalten Menschen mit Fibromyalgie nur schwer Zugang zu einer angemessen Behandlung. Zudem gilt für die Wahrnehmung der Erkrankung im Gesundheitswesen allgemein und in der Zuweisung von Finanzen für Therapie und Wissenschaft: Ohne Diagnose-Ziffer keine offizielle internationale Statistik und weniger Forschungsgelder.
Prof. Dr. Winfried Häuser, Klinikum Saarbrücken gGmbH beklagt in seinem Vortrag die hartnäckige Ignoranz unter Medizinern: „Einige Ärzte behaupten sogar immer noch, dass es die Erkrankung gar nicht gibt.“ Dabei sei „das FMS (…) in den meisten Fällen einfach zu diagnostizieren“. Das Überprüfen der Druckschmerz-Empfindlichkeit an den 18 Sehnenansatzpunkten („Tender Points“) sei dazu nicht (mehr) nötig. Vielmehr müssen man die Gesamtschau der Beschwerden bewerten: Anhaltenden chronischen Schmerz in mehreren Körperregionen, körperliche und geistige Erschöpfung, nicht erholsamen Schlaf, Steifigkeitsgefühl der Hände oder Füße und reduzierte körperliche und/oder geistige Leistungsfähigkeit. „Fakt ist: Ein reines FMS ist selten“. Parallel tretenden oftmals auch Erkrankungen wie Depression, Ängstlichkeit oder Schlafstörungen auf, ältere Menschen mit Fibromyalgie plagen auch Arthrose und Arthritis. Dazu konstatiert Prof. Dr. Rolf-Detlef Treede: „Zu behaupten, es gebe die Pathophysiologie der Fibromyalgie, ist Fake News“.
Zur Linderung der Fibromyalgie-Beschwerden empfiehlt Prof. Dr. Christoph Baerwald (Klinik und Poliklinik für Gastroenterologie und Rheumatologie am Universitätsklinikum Leipzig) „angemessene körperliche und psychosoziale Aktivität“. Da sich in aktuellen Studien auch moderater Alkoholkonsum und angenehme ruhige Musik als schmerzreduzierend erwiesen, kommt er für Abende ohne Sport und Geselligkeit zum Fazit „Meine Empfehlung daher: ein gutes Glas Rotwein bei entspannender Musik genießen.“
* andere europäische Länder nutzten den ICD-10 Katalog bereits seit 1994, beispielsweise Niederlande, Tschechische Republik
Rommelfanger, J. (2019): Fibromyalgie – was sind Fakten, was „Fake News“? Experten geben Tipps zu Diagnose und Therapie. Bericht vom klinischen Symposium „Fibromyalgie – Fakten, alternative Fakten und ‚fake News‘“ auf dem 125. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), online veröffentlicht auf MedScape 11.06. 2019.
Medizin Aspekte (2019): Gute Nachricht für Schmerzpatienten: Chronischer Schmerz im neuen Diagnoseschlüssel ICD-11 enthalten. Online veröffentlicht im Juni 2019.
Treede, R.D. et al. (2019): Chronic pain as a symptom or a disease: the IASP Classification of Chronic Pain for the International Classification of Diseases (ICD-11). Pain 160 (1): 19 - 27. DOI: 10.1097/j.pain.0000000000001384.